Kurmainzer Amtshof: Nachdem Christdemokraten auf FDP-Linie umschwenken, zieht Bürgermeister Herbert (SPD) Beschlussvorlage zurück – Weinkosthalle soll Vorrang haben
HEPPENHEIM. Eigentlich hatte die Rathausspitze gehofft, ihre Beschlussvorlage an den Bau-, Umwelt- und Stadtentwicklungsausschuss sei reine Formsache. Schließlich sind sich die Stadtverordneten weitgehend einig, dass der Kurmainzer Amtshof einen Aufzug braucht, damit alte und behinderte Menschen an gesellschaftlichen und öffentlichen Veranstaltungen – wie auch dem jährlichen Bürgerempfang der Stadt – teilnehmen können. Außerdem ist es inzwischen eine gesetzliche Pflicht, öffentliche Räume behindertengerecht auszubauen.
Die Pläne sind fertig, das Geld stünde im Haushaltsplan und mit Mitteln für die Altstadtsanierung zur Verfügung – ist aber mit einem Sperrvermerk des Bauausschusses versehen. Für Bürgermeister Gerhard Herbert (SPD) ist es sinnvoll, den Aufzug im Zuge der anstehenden Heizungssanierung einzubauen, um Synergieeffekte zu nutzen. Laut Plänen hätte der über die Mühlgasse erreichbare Aufzug drei Ebenen – Winzerkeller, Museum und Kurfürstensaal.
Doch am Dienstagabend machte ein überraschender Änderungsantrag der CDU die schnelle Umsetzung zunichte. Fraktionsgeschäftsführer Matthias Horn wollte in die Vorlage aufnehmen lassen: „Priorität hat ein Ausbau der Weinkosthalle, danach kommt der Aufzug.“ Damit schwenkte die CDU auf die Linie der FDP ein, der die Weinkosthalle im Hof schon lange eine Herzensangelegenheit ist.
Das verwunderte insofern, als die CDU vor allem vor der Kommunalwahl am 26. März vorigen Jahres eine andere Meinung vertreten hatte. So heißt es in einem ECHO-Beitrag vom 1. März: „Die neue Gesetzgebung verlange gerade von Städten und Gemeinden, dass den Bedürfnissen dieser Minderheiten Rechnung getragen werden müsse. Die CDU gehe noch weiter und nenne es ,eine Selbstverständlichkeit, dass man diesen Bedürfnissen nachkommt‘. Hierzu bedürfe es keiner gesetzlichen Regelung, sondern Mitgefühl und Menschenverständnis.“
Noch kurz nach der Wahl geht Hans-Peter Falter (CDU) die Liberalen an: „Der Theaterdonner der FDP, die stattdessen (statt eines Aufzuges) dafür plädiert, Weinkosthalle und Kelterhaus auszubauen, kann man nicht nachvollziehen. Hans-Peter Falter betont, dass beides sinnvoll wäre – der Aufzug aber wichtiger“ (ECHO vom 12. April 2006). Nun also ist die Weinkosthalle für die Christdemokraten doch wichtiger.
Edgar Reiners (SPD) betonte, in der Form würden die Sozialdemokraten nicht für die Aufhebung des Sperrvermerks stimmen. Reiners: „Dann wissen wir ja immer noch nicht, wann der Aufzug kommt.“
Sonja Guttmann (SPD) ergänzte: „Wir wollen Alte und Behinderte nicht länger ausschließen, Menschen sind wichtiger als Gebäude.“ Unterstützung bekamen die Sozialdemokraten von Rosemarie Sutholt (Grüne): „Wir brauchen den Aufzug in den Kurfürstensaal.“
Benjamin Kramer (FDP) wiederholte die Position der Liberalen, wonach eine ausgebaute Weinkosthalle eine Alternative zum Kurfürstensaal darstelle und – weil ebenerdig – behindertengerecht sei. Das brachte wiederum Bürgermeister Gerhard Herbert in Rage. Die FDP verbreite Märchen, denn in einer wie auch immer ausgebauten Weinkosthalle würden niemals Konzerte oder eine Stadtverordnetenversammlung stattfinden. Auch könne Heppenheim auf eine Halle in der Größenordnung der Weinkosthalle verzichten, hierzu gäbe es jede Menge Alternativen. Der Kurfürstensaal sei dagegen „die gut’ Stubb’ der Stadt“.
Die CDU blieb bei ihrem Sinneswandel, die FDP bei ihrer früheren Auffassung und auch Norbert Golzer (FWHPINI) kündigte an, den Änderungsantrag der CDU zu unterstützen. Daraufhin zog der Bürgermeister die Notbremse – und die Beschlussvorlage zurück. Er wolle nach einem Kompromiss suchen, um wenigsten den Umbau der Heizungsanlage nicht zu gefährden.
Gestern meldete sich der städtische Behindertenbeauftragte Helmut Bechtel (SPD) zu Wort. Er sprach von einem „unsinnigen Ausbau der Weinkosthalle, was im Umkehrschluss bedeutet, dass der Fahrstuhl weiter warten muss“. Er werde sich mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, dafür einsetzen, dass der eigentlich bereits beschlossene Bau dieses Fahrstuhls („die Verwaltung hat die Pläne bereits fertig“) komme, „und zwar so schnell, wie es nur geht“. Es handele sich nicht nur um eine gesetzliche Pflicht der Stadt, sondern auch um eine moralische.
Über den Meinungsumschwung der CDU sagte der Behindertenbeauftragte zum ECHO: „Es ist erstaunlich, was man innerhalb eines Jahres alles vergessen kann in der Politik.“
Aus dem Starkenburger Echo vom 26.04.2007