Geduld statt Brechstange gefragt

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EHRENAMT Helmut Bechtel ist seit zehn Jahren Behindertenbeauftragter in Heppenheim / Nicht alle Wünsche erfüllbar

Helmut Bechtel (SPD) nahm heute vor zehn Jahren die Arbeit als erster Behindertenbeauftragter der Stadt Heppenheim auf. Damals wusste er noch nicht, was ihn erwartet. Heute ist er Experte auf vielen Gebieten.

Helmut Bechtel (SPD) ist seit zehn Jahren ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter der Stadt Heppenheim. Foto: Dagmar Jährling

Bei der Sitzung am 21. Dezember 2005 hatte der Magistrat beschlossen, Helmut Bechtel zum Behindertenbeauftragten für die Stadt Heppenheim zu ernennen. In Vertretung für den damals im Urlaub weilenden Bürgermeister Gerhard Herbert (SPD) überreichte Stadtrat Ludwig Bergweiler (CDU) am 2. Januar 2006 Bechtel die Ernennungsurkunde. Auf einen Antrag der SPD erging im Sommer 2005 der Beschluss, einen ehrenamtlich tätigen Behindertenbeauftragten zu installieren.

Bechtels Ernennung zum Behindertenbeauftragten war nicht unumstritten: Als er sich zur Verfügung stellte, war er zu diesem Zeitpunkt zwar in keinem Gremium – folglich politisch nicht tätig. Er stand aber bereits auf der Liste der SPD für die Kommunalwahl 2006 und war zuvor in seinem Heimatort Wald-Erlenbach bis zum Umzug nach Heppenheim acht Jahre im Ortsbeirat politisch aktiv. Doch seine Schwerbehinderung von 60 Prozent mit dem Merkzeichen G im Ausweis wiesen ihn wiederum als ideale Besetzung für dieses Ehrenamt aus. Bechtel wurde im September 1998 auf dem Weg zum Dienst mit dem Fahrrad von einem Autofahrer angefahren – eine Wirbelsäulenfraktur und ein künstliches Hüftgelenk, das ihm eingesetzt werden musste, waren die Folge. Nach wiederholten Versuchen, wieder ins Berufsleben zurückzukehren, wurde der Polizeibeamte im Jahr 2000 pensioniert.

Einige Kommunalpolitiker fürchteten eine Vermischung der Ämter. Bechtel ist gleichzeitig auch als SPD-Stadtrat Mitglied des Magistrats. Der Behindertenbeauftragte fühlt sich heute bestätigt, dass beide Ämter nur gekoppelt vergeben werden sollten. „Nur so kann ich Einfluss auf zukünftige Bauprojekte nehmen und beispielsweise auf behindertengerechte Zugänge hinweisen“, so Bechtel.

Bechtel steht behinderten Menschen und ihren Angehörigen jeden Freitag von 9 bis 11 Uhr im Stadthaus an der Gräffstraße zur Verfügung. Er hilft beim Ausfüllen von Anträgen für die Krankenkasse und das Versorgungsamt; er berät am Telefon und schreibt Stellungnahmen. Doch einige Betroffene scheuen den Gang zur Stadtverwaltung und besuchen ihn lieber zu Hause in seinem Büro. „Das geht natürlich nur, weil auch meine Familie mich unterstützt“, erklärt Bechtel. Bei gehbehinderten Menschen kommt er auch nach Hause.

Großteil der Arbeit läuft im Verborgenen

Ein großer Teil seiner Arbeit laufe im Verborgenen, davon bekommen die Heppenheimer erst etwas mit, wenn Bechtel an die Öffentlichkeit geht. Der Bahnhof soll noch ein neues Leitsystem für Blinde bekommen, das von der Deutschen Bahn bezuschusst wird. Weil manchmal nur öffentlicher Druck etwas bewirke, wandte er sich an das ECHO und wies darauf hin, welche Schwierigkeiten der blinde Christian Schwarz hat, als Pendler mit Bus und Bahn zur Arbeit zu gelangen. In einem anderen Fall berichtete auch der Hessische Rundfunk. Einer dialyseabhängigen Frau wollte ihre Krankenkasse keinen Wärmebehälter für das Auto zum Transport von Blutkonserven genehmigen, um regelmäßig selbstständig in die Heidelberger Universitätsklinik zu fahren. Schließlich übernahm die Kasse die 400 Euro.

Zu seinem ersten und größten Projekt zählt Bechtel den Fahrstuhl im Kurmainzer Amtshof. „Damals habe ich noch den Fehler begangen, mich mit Gewalt durchsetzen zu wollen“, gibt Bechtel zu. Heute weiß er, dass es statt der Brechstange einen langen Atem braucht. Die Arbeit mit Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU) und vielen Fraktionen sei einvernehmlich. Auch zum Sozialverband VdK und zur Caritas hält er gute Kontakte.

Nicht immer seien allerdings die Wünsche mit neuen Vorschriften vereinbar. Beispielsweise hätte die Fußgängerunterführung an der Lorscher Straße nur eine Steigung von sechs Prozent haben dürfen, um bei einer Sanierung behindertengerecht gestaltet zu werden. Es seien aber acht Prozent. „Dann kann auch ich nichts machen“, bedauert Bechtelt.

Ein Projekt, das schon länger auf Umsetzung wartet, ist ein behindertengerechter Zugang zur Stadtbücherei. Weil diese in den Winzerkeller umziehen sollte, wurde aus seinen Bestrebungen vorerst nichts. Doch jetzt ist ein Ortstermin mit Burelbach anberaumt.

Aus dem Starkenburger Echo vom 02.01.2016