Mut zu Kindern machen

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Heilig Geist: Matinee mit Heppenheimer Sozialdemokraten zum Thema familienfreundlichen Stadt

HEPPENHEIM. „Apfelbäumchen“ möchte Edgar Reiners wieder gepflanzt sehen. Das bekannte, Martin Luther zugeschriebene Bild, von dem, was der Reformator zu tun beabsichtigte, wenn morgen die Welt unterginge, bemühte der Geograph, als er Wege zu einer „familienfreundlichen Kommune“ aufzeigte. Das Mitglied der SPD-Stadtverordnetenfraktion sprach am Sonntag in der ersten Matinee „Was gelten soll“ der evangelischen Heilig-Geist-Kirchengemeinde.

Reiners wollte mit seinem Vergleich einerseits deutlich machen, dass eine Zukunft der Gesellschaft ohne Kinder nicht möglich ist und andererseits, dass es sinnvoll ist, auch künftig auf das Zusammenleben mit Kindern zu setzen.

Im ersten Teil seiner Ausführungen bezog sich der statistisch geschulte Mitarbeiter des Regierungspräsidiums auf die gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz, die in ihrem Wort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ aus dem Jahr 1997 erklärt hatten: „Mehrere Kinder zu haben, ist heute zu einem Armutsrisiko geworden“.

Die wirtschaftliche Belastung von Familien mit Kindern könne dazu führen, „dass sie weniger Kinder bekommen, als sie sich eigentlich wünschen“.

Die Frage, warum sich die Einstellung zu Kindern verändert hat, etwa, dass 25 Prozent der zeugungsfähigen Männer keine Kinder haben wollen, beschäftigte die Besucher im „Haus der Begegnung“ ebenso wie die Tatsache, dass in Heppenheims Kindergärten Gruppen geschlossen werden, weil nicht mehr genügend Kinder angemeldet sind. Den Einstellungswandel meinte Berthold Schäfer, einer der Kirchenvorsteher von Heilig Geist, an der spektakulären Beobachtung festzumachen, dass junge Väter sich an ihren Kleinkindern vergreifen. Sein Kollege Andreas Höppener-Fidus (Hambach) forderte, dass die Stadtverwaltung und die freien Träger von Kindergärten, sich an einen Tisch setzen, um die Ursachen für die veränderte Situation zu ermitteln und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Joachim Ballweg (Hambach) ergänzte Reiners Ausführungen, indem er auf generationsübergreifende Transferleistungen hinwies. So müsse man unter dem Stichwort „familienfreundliche Kommune“ ebenfalls Senioren im Blick haben und könne sich nicht nur auf die Betreuung, Bildung und Wertevermittlung an Kinder beschränken. Renate Netzer (Ober-Hambach), stellvertretende Vorsitzende im Sozial- Kultur- und Sportausschuss des Stadtparlaments, verwies zudem auf die Bedeutung der Jugendlichen für das Gemeinwesen und ihre Möglichkeit, sich organisiert zu treffen.

Gegenüber den Forderungen nach einer in diesem Sinne „familienfreundlichen Stadt“ erhob Peter Stöcker (Kirschhausen) finanzielle Bedenken. Die auflaufenden Schulden, betonte das Stadtratsmitglied der FDP, müssten von künftigen Generationen bezahlt werden, und das sei in keiner Weise familienfreundlich. Reiners machte seinerseits mit den ökumenischen Votum von 1997, hinter das er sich ausdrücklich stellte, deutlich, „dass alle Bürger Zugang zu Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten haben, die ihnen ein menschenwürdiges, mit der Bevölkerungsmehrheit vergleichbares Leben und eine effektive Mitarbeit am Gemeinwohl ermöglichen“.

Höppener-Fidus, der die Kirchengemeinde in der lokalen Arbeitsgruppe Agenda 21 vertritt, verlangte zudem eine ökologische Bilanz sozialpolitischer Forderungen. Zu den zahlreichen Teilnehmern der Matinee gehörten nicht nur Landtagsabgeordnete Norbert Schmitt (SPD), sondern erfreulicherweise auch zwei schulpflichtige Mädchen als unmittelbar Betroffene der anregenden Diskussion.

Pfarrer Dirk Römer, der das offene Gespräch leitete, hatte zuvor im Gottesdienst in seiner Predigt auf die sinkende Zahl der Täuflinge zwischen 1995 und 2004 hingewiesen. Ursache sei nicht die Taufverweigerung der Gläubigen, sondern fallende Geburtenzahlen. Der Theologe machte den Konsumismus für die veränderte Wertehaltung verantwortlich, dem Stöcker später öffentlich zustimmte.

Unter Bezug auf den Propheten Hosea erhofft Römer sich, dass Gott nach der gegenwärtig zu erlebenden Zeit der „Wüste“ und einer Durststrecke in den Paarbeziehungen wieder Mut zu Kindern macht. Neben den beiden Gemeindegesängen „Sonne der Gerechtigkeit“ und „Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen“ wirkte Hobbymusiker Ballweg in dem Gottesdienst mit, indem er auf der klassischen Gitarre zwei Musikstücke vortrug.

Am 12. Juni (Sonntag), ebenfalls um 11 Uhr, wird die Grüne Liste Heppenheim an der zweiten Matinee im „Haus der Begegnung“ beteiligt sein. Fraktionsvorsitzender Peter Müller von der GLH hat sich zum Thema gewählt: „Soziale Verantwortung – wohin steuert diese Gesellschaft?“. Die Matineereihe „Was gelten soll“ zur Frage der Wertevermittlung in der Gesellschaft wird mit allen Gruppierungen des Heppenheimer Stadtparlaments anlässlich der 1250-Jahr-Feier der Stadt Heppenheim im Lauf der kommenden Monate veranstaltet.