Bürgermeister im Alleingang

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Kastanien – Am Heppenheimer Bahnhof wurden gestern drei der 100 Jahre alten Bäume gefällt — Behinderungsanzeige

VON DIRK ROSENBERGER

HEPPENHEIM. Aus dem Protestschild ist gestern ein Hinweisschild geworden: 
„Bürgermeister Obermayr wird auch diese Bäume fällen lassen“, 
steht in bunten Farben auf einer Tafel aus Pappe, die an einem Zaun am Heppenheimer Bahnhof lehnt. Drei Meter weiter links kracht die erste der 100 Jahre alten Kastanien auf den Asphalt. Drei der sechs Bäume, die am künftigen Busbahnhof stehen, werden abgeholzt — und das, obwohl sich der Magistrat am vergangenen Mittwoch noch gegen eine Fällung ausgesprochen hatte.

Eine Magistratsentscheidung, die von Ulrich Obermayr (CDU) gestern beanstandet wurde. Und nachdem der Bürgermeister morgens seinen Widerspruch eingereicht hatte, ließ er gleich die Motorsägen anlaufen. Einige Anwohner und Bahnfahrer verfolgten ungläubig das Geschehen. Was seit einigen Tagen als Gerücht durch Heppenheim geisterte, bewahrheitete sich lautstark.

Stadtverordnete Ingrid Meister (SPD) kann ,,die Art und Weise, wie hier mit den Bürgerinteressen umgegangen wird“, nicht nachvollziehen. Sie hatte innerhalb von zwei Stunden fast 150 Unterschriften für den Erhalt der Kastanien gesammelt. Dann rückte der Bautrupp an. Sie könne sich leider nicht an den Bäumen festketten, bedauerte die Stadtverordnete. In kleinen Gruppen wurde die Vorgehensweise des Bürgermeisters diskutiert und in der aufgeheizten Atmosphäre oft kein gutes Haar am Rathauschef gelassen.

Die Entwicklung hatte sich am Dienstagabend im Bauausschuss abgezeichnet. Dort hatte der Rathauschef angekündigt, sich gegen die Magistratsmehrheit zu stellen. Obermayr begründete seinen Alleingang mit einer Behinderungsanzeige der ausführenden Baufirma. Diese erklärte, durch den drei Meter breiten Absperrbereich um die Kastanien herum die Arbeiten an der neu zu errichtenden Rampe Ost der Personenunterführung nicht mehr ausführen zu können. ,,Jeder Tag, an dem nicht gearbeitet werden kann, kostet die Stadt eine Stange Geld“, sagte der Bürgermeister

Zwei Rosskastanien hätten ohnehin gefällt werden müssen, um den Busbahnhof zu bauen. Das sei von der Stadtverordnetenversammlung durch die Genehmigung der Planung vor zwei Jahren akzeptiert, allerdings durch den Magistratsbeschluss wieder  rückgängig gemacht worden. ,,Bleiben die zwei Bäume stehen, können wird den Busbahnhof nicht bauen“, betonte Bauamtsleiter Hans-Christian Fleischmann.

Denn ein Baum steht in der künftigen Einfahrt im südlichen Bereich, ein weiterer direkt auf einem der Bushalteplätze. Dann blieben nur eine Einfahrt und ein Halteplatz. ,,Wir würden 450 000 Euro ausgeben und uns dem Gelächter der Region aussetzen.“ Viel schlimmer als der finanzielle Verlust wiegt für Obermayr der Irnageschaden, wenn ,,eine Million Besucher zum Hessentag ankommen und den Kopf schütteln.“

Der dritte hölzerne Riese musste weichen, weil das ÖPNV-­Konzept optimiert werden soll. Demnach wird künftig die Linie 669 den Bahnhof anfahren — ein Gelenkbus, der nicht mehr um die erste Kastanie herum auf die Kal­terer Straße Richtung Stadion ge­kommen wäre. So wurde auch dieser Baum ein Fall für die Holz­fäller

Auf Nachfrage erklärte Ober­mayr, dass die restlichen drei Kas­tanien stehen bleiben sollen. Obwohl diese laut Gutachten in keinem guten Zustand sind. Der Bürgermeister hatte deshalb im Ausschuss vorgeschlagen, alle sechs Bäume zu fällen und Platz für Neupflanzungen zu schaffen.

Mit dem gestrigen Einsatz — empörte Zuschauer sprachen von ,,einer Nacht- und Nebelaktion am helllichten Vormittag“ — hat Obermayr vollendete Tatsachen geschaffen. Die Arbeiten am Bahnhof gehen weiter, der Busbahnhof kann wie geplant errichtet werden.

Der Magistrat wird sich übrigens erst in einer Woche mit dem Thema befassen, weil der Bürgermeister gestern Nachmittag nicht an der Sitzung teilnehmen konnte. Wobei der Tagesordnungspunkt lediglich statistischen Wert hat. Vielleicht können sich Bürgervertreter und Bürgermeister auf eine passende Folgebepflanzung einigen —  Trauerweiden würden sich bestimmt gut machen.