„Leidenschaft gehört ins Parlament“

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Herr Schmitt, wo gehen Sie ab Oktober hin, um sich aufzuregen?

Da habe ich dann nur noch den Kreistag. Das ist sicherlich ein Wesenselement von mir: dass ich mein Temperament bei Diskussionen im Parlament immer wieder gezeigt habe. Manche werden das vermissen, andere werden froh sein.

Werden Sie es denn vermissen?

Natürlich werde ich die politische Auseinandersetzung vermissen. Der Hessische Landtag ist ja bundesweit das Parlament, in dem es am härtesten oder positiv formuliert: am muntersten zugeht. Das wird mir fehlen.

Täuscht der Eindruck: Ganz so rau wie früher geht es im Landtag nicht mehr zu?

Es ist etwas besser geworden. Als die CDU ihre Schwarzgeld-Affäre hatte, war kaum noch ein vernünftiges Wort zu wechseln. Es ist aber immer noch so munter, dass sich mancher Besucher entsetzt abwendet. Ich verteidige das aber: Leidenschaft gehört ebenso wie Rationalität ins Parlament. Wer Interessen vertritt, in meinem Fall besonders die soziale Gerechtigkeit, soll dies mit Leib und Seele tun. Hart, aber nicht unfair.

Im Kreistag kommen Sie in jüngerer Zeit ruhiger rüber. Liegt es an der Großen Koalition?

Nein, ich bin einfach ruhiger geworden – auch bei Debatten im Hessischen Landtag. Das tue ich auch mit Rücksicht auf Außenstehende, die keinen Anstoß an der Form der Auseinandersetzung nehmen sollen. Wenn es aber sein muss, teile ich immer noch aus.

Wie halten Sie den sozialdemokratischen Spagat aus: in Stadt, Kreis und Bund mit der Union koalieren, im Land alles doof finden, was diese macht?

Ich finde auch nicht alles gut, was die CDU im Kreis Bergstraße macht. Zum Beispiel könnte das Engagement des Kreises im sozialen Wohnungsbau viel stärker sein. Es ist das zentrale soziale Thema der nächsten Jahre, aber hier blockiert der Landrat. Umgekehrt habe ich auf Landesebene in der Enquête-Kommission zur Verfassungsreform ganz hervorragende Erfahrungen mit Christdemokraten gemacht. Es hängt also von der Sache ab.


Norbert Schmitt (62) lebt in seinem Geburtsort Heppenheim. Sein Abitur machte der verheiratete Vater zweier erwachsener Kinder am Bensheimer Wirtschaftsgymnasium. Es folgten der Zivildienst im Haus am Maiberg und ein Jurastudium in Frankfurt. Nach dem zweiten Staatsexamen arbeitete Schmitt als Büroleiter für den Offenbacher Oberbürgermeister Wolfgang Reuter, dann als Pressesprecher für den saarländischen Innenminister Friedel Läpple.

Von 1991 bis 1997 war Norbert Schmitt Geschäftsführer der SPD Hessen; 2004 bis 2009 war er im Land Generalsekretär der Partei, der er 1973 beigetreten war.

Im Kreistag sitzt Norbert Schmitt mit einem Jahr Unterbrechung seit 1985, im Hessischen Landtag seit 1995. (cris)


Das klingt nicht nach grundsätzlicher Ablehnung der Großen Koalition.

Ich sehe sie weiterhin skeptisch. SPD und Union stehen für verschiedene politische Richtungen. Wenn es aber Wahlergebnisse nicht anders zulassen, muss eben kooperiert werden.

Ist Rot-Rot-Grün immer noch Ihre Wunsch-Koalition für Hessen und den Bund?

Dafür wird es vermutlich nicht reichen. Es kann aber auch nicht sein, dass auf allen Ebenen nur noch die beiden Großen zusammenarbeiten. Zumal die SPD trotz guter Ergebnisse immer nur draufzahlt, was Wahlergebnisse nach Großen Koalitionen angeht.

Ist die SPD überhaupt noch ein Großer?

Wir werden darum kämpfen müssen. Deshalb ist ja auch die Erneuerung der Partei eingeleitet worden. Es muss beim Wähler ankommen: Die SPD hat die Antwort auf die sozialen Fragen, sie ist imstande, die Zukunft zu gestalten.

Als finanzpolitischer Sprecher der SPD haben Sie über Jahre die aus Ihrer Sicht kommunalfeindliche Politik der CDU-geführten hessischen Regierung gegeißelt. Müssen Sie nicht angesichts der jüngst vorgelegten Zwischenbilanz des Kommunen-Hilfsprogramms Schutzschirm einräumen: So schlecht war das gar nicht?

Die Bilanz der CDU ist immer noch katastrophal. Nach wie vor gehören die hessischen Kommunen zu denjenigen mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Bis 1999, als die CDU ans Ruder kam, gehörten sie zu denjenigen mit der geringsten Verschuldung.

Dann ist es tätige Reue: den Kommunen mit Schutzschirm, Hessenkasse, Kommunalinvestitionsprogrammen und der Reform des Kommunalfinanzausgleichs zu helfen?

Halbherzige tätige Reue. Es ist richtig, dass die Kommunen entlastet werden. Da hilft derzeit auch die gute Konjunktur. Aber der Verursacher ihrer Schulden war das Land, war die CDU. Jetzt müssen die Kommunen zum großen Teil selbst für die Korrektur durch Hessenkasse und Schutzschirm zahlen. Fair wäre, wenn das Land stärker mit eigenen Mitteln zur Beseitigung der Misere beigetragen hätte.

Ihr Nachfolger als Direktkandidat im Wahlkreis Bergstraße West ist der junge Lampertheimer Marius Schmidt. Ohne sicheren Listenplatz für ihn droht dem Kreis Bergstraße eine Schwächung im Landtag. Ist das unvermeidlich gewesen?

Das war eine Abwägungsfrage für mich bei der Entscheidung weitermachen oder nicht. Natürlich wäre es für mich leichter, einen sicheren Listenplatz zu bekommen. Denn da spielt neben der regionalen Verteilung die Frage eine Rolle, wie lange jemand dabei ist. Dann wäre ich aber am Ende der Legislaturperiode im 69. Lebensjahr gewesen. Jetzt treten wir an mit einem jungen, intelligenten Kandidaten, der das Herz am rechten Fleck hat. Meine Hoffnung ist, dass wir mit ihm ein gutes Ergebnis erzielen, sodass er auch im Landtag mein Nachfolger wird.

An seinem CDU-Kontrahenten Alexander Bauer lassen Sie traditionell kein gutes Haar. Aber glauben Sie im Ernst, dass Marius Schmidt gegen einen profilierten und erfahrenen Landtagsabgeordneten und Seriensieger im Kampf um das Direktmandat eine Chance hat?

Einfach wird das nicht. Der Westkreis ist von der SPD zuletzt 1983 von Jürgen Dieter direkt gewonnen worden. Vielleicht hilft aber der Blick auf die Bilanz von Herrn Bauer. Als innenpolitischer Sprecher der CDU hat er nicht nur mit der schlechten Behandlung der hessischen Kommunen zu tun, sondern ist auch gerade erst vom Staatsgerichtshof bei der Wahlkreisreform zurückgepfiffen worden. Und mit der Unzufriedenheit bei der Polizei, wo es ohne Ende Überstunden gibt. Straßenbeiträge will er weiter erheben lassen, obwohl die SPD einen Weg zur Abschaffung aufgezeigt hat.

Neulich sind Sie gemeinsam mit Andrea Ypsilanti in Heppenheim aufgetreten. Wie sehr schmerzt es noch, dass sie vor zehn Jahren das gemeinsame Ziel knapp verfehlt haben: in die hessische Staatskanzlei einzuziehen?

Persönlich ist da überhaupt kein Schmerz, aber damals haben wir politisch eine Riesen-Chance vertan: eine Alternative aufzuzeigen mit wahrscheinlich bundesweiten Auswirkungen. Schon richtig: Ich war kurz davor, Minister zu werden. Der damalige Chef der Staatskanzlei sprach mit mir schon darüber, ob Roland Koch noch mit dem Dienstwagen nach Hause gebracht werden kann. Schade ist es aber nicht um Ämter, sondern um die Möglichkeit, zu zeigen, dass Politik auch anders geht, als sie derzeit praktiziert wird.

Bei Ihnen geht es ab Januar anders. Was machen Sie mit der gewonnenen Zeit?

Das lasse ich auf mich zukommen. Erst will ich die Freiheiten genießen, auch wenn sich schon Verbände melden, ich soll dort Funktionen übernehmen. Auf jeden Fall arbeite ich an der Reform der SPD mit.

Das Interview führte Christian Knatz.

Aus dem Starkenburger Echo vom 30.05.2018